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Starke Nerven

Jul 6 , 2013

Von Gudrun M. H. Kloes in Allgemeines
3 Kommentare »

Wie auch im letzten Beitrag vom Mai geht es gewissermaßen um den Tod, aber auch um erfreulichere Erscheinungen.

Der Tod zuerst: In so einem kleinen Verwaltungsbezirk wie Húnaþing vestra mit seinen rund 1.100 Einwohnern, etwa einem Drittel der hier registrierten Pferde, schließen sich Kreise schnell. Hühnerfutter kaufend, stand ich unvorbereitet im Packhaus des hiesigen Raiffeisenladens einem Sarg gegenüber. Ja, Jón von Tunga war nach erfülltem Leben gestorben. Der weiße Sarg, geordert aus Reykjavík, stand Seite an Seite mit Bestellungen landwirtschaftlicher Art wie Stacheldraht, Euterseife und Stallmatten unbeachtet im Packhaus, bis Befugte kommen würden, um ihn gegen Quittung abzuholen. Das verlangt starke Nerven von einer Hühnerfutterkäuferin. Am gleichen Abend wurde ich gebeten, mit anderen Frauen des Hausfrauenvereins den Leichenschmaus für Jón auszurichten. Das taten wir gern. Manche der Frauen sind mit ihm verwandt, andere kannten ihn und schätzten seine heitere Lebensart und die lustigen Sprüche, die seine Lippen aus auffallendem Bartgewirr zum Besten gaben.

Vier gigantische Sahnetorten 40×60 cm, 300 Pfannkuchen, jede Menge kleinur und flatkökur wurden gebacken und aufgetischt, zusammen mit anderen traditionellen Kuchen, die Jón bestimmt gut gefallen hätten. Darüber verflog die Trauer und wandelte sich nach der Trauerfeier in ein Beisammensein, das nicht nur dem Tod ein Schnippchen schlagen wollte, sondern den Hinterbliebenen auch bescheinigte, dass sie zusammenkommen und zusammenhalten werden. Gelassen und gestärkt gingen sie nach Hause, und bei uns Hausfrauen machte sich der Alltag wieder breit, wir spülten …

Starke Nerven verlangen auch die zur gleichen Zeit wuchernden Löwenzähne im Garten und vor allem rund um ihn herum. Wo immer der Wind herweht, die Schirmchensamen landen auf dem vor zehn Jahren sorgsam eingesäten und nach bestem Vermögen gepflegten Rasen und verwandeln den Garten in ein Gebiet mit „Wildkräutern am falschen Ort“, was keineswegs mit „Unkraut“ gleichgesetzt werden darf, weil es das nach der Wildkräuter-Definition schlicht und einfach nicht mehr gibt. Vielleicht auch nie gegeben hat.

Kübelweise landeten die 60 – 70 cm hohen Löwenzahnblätter in Birgits Kaninchenzucht und in geringerer Menge bei meinen Hühnern, die sie nutzten, um Eier mit ausnehmend gelbem Dotter zu legen. Und dann köpfte ich diese beharrlichen Wildkräuter bester Präferenz, um daraus Most zu machen.

Wildkräuter, geerntet

Drei Wochen später ist dieser zum Federweißen geworden, den zu kosten ich nicht widerstehen konnte. Er ist so alkoholhaltig, dass nur zwei Gläser davon seilartig starke Nerven verlangen. Vom Geschmack her kommt er einem Gewürztraminer gleich, den ich zufällig zur Hand hatte. Davon ein Glas, eins vom Löwenzahnmost zum Vergleich, sind zusammen (mit den beiden vorherigen) schon vier Gläser, und damit hat es sich, sonst sind die Nerven futsch und hinüber. Über den Lachsfluss, der das Dorf tangiert, über Vatnsnesfjall, wo Jón von Tunga seine Schafe weidete, über die Gartengrenze, wo die Wildkräuter am richtigen Ort grassieren.

Löwenzahnmost in Sommerabendsonne

Jetzt noch ein halbes Jahr ruhen lassen...

3 Kommentare zu “Starke Nerven”

  1. Petrina

    Interessant! Gibt es ein Rezept für diesen effektvollen Löwenzahnmost?

  2. Volksbestattung

    Hallo, hast du denn beruflich mit einem Catering Service zu tun, oder macht du das nebenbei für euren Verein? Löwenzahnmost liest sich sehr interessant. Bin auch mal auf das Rezept gespannt, wie mein Vorredner. Viele Grüße und weiterhin gutes Gelingen.

  3. Gudrun M. H. Kloes

    Hallo Volksbestattung. Mit Catering habe ich nur insofern zu tun, als ich bei dem Verein der „Hausfrauen“ auf Vatnsnes mitmische, wir richten z.B. einmal im Jahr das Küstenbüffet aus. Ansonsten gebe ich „Islandkochbuch“ heraus und vertreibe es, so gut es geht. Dieser Blogg ist eine Freizeitbeschäftigung, der ich je nach Freizeit nachgehe, wenn meine leidenschaftliche Kochtätigkeit (für den hiesigen Landmarkt z.B. und für mich selbst) es erlaubt.
    Löwenzahnmost: Ein grosses Sieb Löwenzahnblüten sammeln – sie dürfen nicht zu locker im Sieb liegen, es müssen so viele rein, wie geht. Mit 4 l Wasser aufsetzen, Saft von 2 Zitronen zugeben und lange köcheln lassen. Abkühlen. Absieben.
    Den Saft mit klarem Wasser auf 8 l ergänzen, mit 2 Kilo Zucker auf halber Temperatur verrühren und mit Weinhefe (aus dem Fachhandel – Gebrauchsanleitung genau beachten) in einem Weinbottich mit entsprechendem Propfen (muss blubbern können) bei 22-24°C ansetzen. Täglich schütteln. Wenn der Most ausgegoren ist, diesen bei kühlerer Temperatur mindestens 10 – 14 Tage setzen lassen. Man kann auch ein Klärungsmittel reingeben, was ich aber am liebsten vermeide. Danach sollte der Most klar und zum Abfüllen in Flaschen bereit sein. Achtung, der Bodensatz im Bottich ist nicht nur trüb und ekelig anzusehen, er verdirbt auch den Most, wenn er aus Versehen mit in die Flaschen gerät.
    Manche Leute messen den Alkoholgehalt sehr genau mit einem Oechsle-Gerät (ebenfalls im Fachhandel erhältlich), das tue ich nicht. Ich probiere einfach auf nüchternen Magen (jedoch nicht am Vormittag …) und teste die Reaktion. Gefällt sie mir, ist der Most akzeptiert. Gefällt sie mir nicht, hab ich Pech gehabt und muss einen neuen Most ansetzen.
    Ein halbes Jahr sollten die Flaschen ruhen, ehe der Inhalt mit Gästen genossen werden kann.
    Löwenzahnblütensud kann man einfrieren und später heranziehen, um Most zu machen. Mit Rhabarbersaft ist es ähnlich, oder mit Blaubeeren. Daraus lassen sich geschwätzige Weine machen.
    Wer einen Schlafwein herstellen will, nimmt Sud von Schafgarbenblüten, gepaart mit Flieder und Baldrian, habe ich gehört,k und setzt ihn an.
    Wie dem auch sei: Prosit!
    Im Internet finden sich viele detaillierte Angaben in dieser Sache.

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