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Lost in Iceland – Mythos und Realität

Aug 8 , 2017

Von Gudrun M. H. Kloes in Allgemeines
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Diesmal war ich dabei, mittendrin im tiefsten Niemandsland, verloren in Island, genauer gesagt auf Kollumúlaheiði in knapp 900 m Höhe im östlichen Vorfeld von Vatnajökull, bei Nebel, Sturm und Regen. Zum Glück war ich nicht allein. Ich teilte mein verlorenes Schicksal mit zwei anderen, die ebenso wie ich von der Wandergruppe getrennt waren.Lost in Iceland, ein eindrucksvolles Fotobuch, ist mit Abstand der größte Bestseller aller isländischen Werke. Die Verkaufszahlen des Buches liegen um das 20 – 30 fache vor den bekanntesten Krimis. Der Buchumschlag in schwarz-weiß hat etwas Melancholisches, der schlichte Font will undramatisch daherkommen – so stellen wir uns das Nirwana vor, wenn wir daheim im Schaukelstuhl sitzen und in diesem hervorragenden Buch blättern. Wirklich verloren in Island zu sein geht anders.

Der Sturm ist so stark, dass niemand richtig stehen kann. Die Brille wird so nass, die Sicht so unklar, dass ich mich ohne Brille im endlosen Gestein der „heiði“ vorwärtskämpfe, mit nur zwei Dimensionen, was ungeheurere Konzentration erfordert. Und von wegen „heiði“, Heide. Nichts haftet der Kollumúlaheiði von der Lieblichkeit der Arnarvatnsheiði oder Víðidalstunguheiði – dort, wo ich wohne – an. Kein Halm, kein Vogel, kein Moos, keine Grashügel, keine Schafspfade, nichts. Nur Steine, Sturm, Altschneefelder, Regen und Nebel.

Um es kurz zu machen: Wir kämpften gemeinsam und schafften es an diesem 22 km langen Wandertag mit schwerem Gepäck  – es wurde richtig dunkel und immer windiger – von dem Punkt, an dem wir die Gruppe verloren, zur Hütte. Da waren die Rettungsmannschaften bereits ausgerückt, der Nothubschrauber stand auf Bereitschaft. Gegen sieben Uhr morgens klopften wackere, fröhliche Gesellen an die Hüttentür, traten ein und notierten zufrieden, dass alle Gruppenmitglieder unbeschädigt an Bord waren. Sie waren auf der  Suche nach uns, doch nun bliesen sie die Suche, an der alle Mannschaften Ostislands beteiligt gewesen waren, erleichtert ab. Aufgabe erledigt. Kollumúlaheiði, grau und schwarz-weiß wie der Buchtitel von Lost in Iceland, ich hoffe, wir begegnen uns nie wieder.

Lost in Iceland betrifft nicht nur Leute wie mich oder unzählige Touristen in Kalamitäten. Heute fand ich, kaum wollte ich es glauben, einen jungen Papageitaucher mitten im Hinterland, weit von der Küste entfernt, wo er hingehört hätte. Die einzige Brutkolonie dieser putzigen Vögel in meiner Region liegt rund 15 km Luftlinie vom Fundort des Vogels entfernt auf der Insel Hrútey im Fjord Hrútafjörður. Wie kam das Kleine auf die Heuwiese? Wer weiß. Ich packte ihn in einen Karton, fuhr dorthin, wo Hrútey vom Strand aus geradezu greifbar scheint und entließ den flüggen Vogel ins Meer, wo er paddelte und tauchte und auf den Wellen tanzte. Lost in Iceland – Aufgabe erledigt.

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